Neuer Fonds
Fonds Irma Schoenberg Wolpe Rademacher

Die Pianistin Irma Schoenberg Wolpe Rademacher (1902–1984) hat in der Musikwelt einen Namen als langjährige Weggefährtin des Komponisten Stefan Wolpe (1902–1972), dessen Werke sie interpretierte und dessen Emigration aus Nazideutschland sie rechtzeitig organisierte. Dass sie unabhängig davon eine eigenständige Musikerin und Klavierpädagogin gewesen ist, war bisher nur wenig bekannt. Mit dem Fonds, der komplementär zur bestehenden Sammlung Stefan Wolpe in der Paul Sacher Stiftung etabliert wird, rückt ihr eigenes Profil stärker in den Blick.

Irma Schoenberg wurde im ostrumänischen Galați geboren und zog 1910 mit der Familie in die Universitätsstadt Iași, wo sie ersten Klavierunterricht erhielt und später am Konservatorium studierte. Im Jahr 1920 nahm sie ein Klavierstudium am Königlichen Konservatorium in Dresden auf und besuchte gleichzeitig Kurse an der Neuen Schule für angewandten Rhythmus in Hellerau. Diese kombinierte Spezialisierung verfolgte sie 1921–25 auch in Berlin, setzte ihre Studien dann in Paris bei Alfred Cortot sowie Emile Jaques-Dalcroze fort und erwarb 1927 ein Diplom am Dalcroze-Institut in Genf. Irma Schoenberg kam aus einer zionistischen Familie der ersten Stunde, die mit führenden Vertretern des sozialistischen Zionismus in Verbindung stand, mehrmals zu Kongressen in Basel reiste und bereits in den 1920er Jahren eine Emigration ins Mandatsgebiet Palästina erwog. Sie selbst konzertierte dort seit 1924 wiederholt, kehrte aber jeweils wieder nach Europa zurück. Auf den Programmen ihrer Konzerte fanden sich stets Werke der klassischen Klavierliteratur neben zeitgenössischen Kompositionen.

In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre lernte Irma Schoenberg Stefan Wolpe kennen, wurde zur Lebensgefährtin und zur prägenden Interpretin von dessen Klavierwerken. Nach der NS-Machtübernahme organisierte Schoenberg Wolpes abenteuerliche Flucht über Zürich, Wien und Bukarest nach Jerusalem, wo sie an der Musikakademie als Klavierpadagogin Fuß fasste. Ende 1938 emigrierte das inzwischen verheiratete Paar weiter nach New York; erneut war es Irma, nun unter dem Namen Wolpe, die aufgrund ihrer starken familiären und professionellen Vernetzung Lebensunterhalt, Aufträge und Aufführungen sicherte. So konzertierte sie etwa mit Eduard Steuermann und unterrichtete an privaten wie öffentlichen Musikschulen. Mit ihrem expressiven Spiel und ihren ausergewöhnlichen Methoden zog sie talentierte Schüler an, darunter den 18-jährigen David Tudor (1926–1996), der sein Orgelstudium mit der Begründung aufgab, "when I heard her play I immediately and spontaneously decided to become a pianist". Auch nach der Scheidung von Wolpe (1949) und einer zweiten Heirat mit dem Mathematiker Hans Rademacher (1892–1969) engagierte sich Schoenberg weiterhin für Wolpes Schaffen und wirkte bis ins hohe Alter als Klavierpädagogin.

Während Teile des Nachlasses von Irma Schoenberg Wolpe Rademacher bereits mit der Sammlung Stefan Wolpe ins Archiv der Paul Sacher Stiftung eingegangen sind, versammelt der neu aufgenommene Fonds Quellen aus Privatarchiven von Familienmitgliedern in Israel und den USA, vor allem Korrespondenz und Textmanuskripte, Fotos, Tondokumente, Programmhefte und Rezensionen. Die Musikwissenschaftlerin Nora Born organisierte die Übergabe der Materialien als Schenkung an unsere Organisation. Der Fonds Irma Schoenberg Wolpe Rademacher dokumentiert die Exilbiographie einer bedeutenden Musikerin, die für sich in Anspruch nahm, "das Erbe der europäischen Kultur als Ganzes anzutreten"; gleichzeitig erlaubt er, die Biographie von Stefan Wolpe mit Daten und Fakten zu ergänzen und zu präzisieren.

(Vgl. die dokumentarische Biographie von Nora Born, Irma Schoenberg Wolpe Rademacher. «… in den Wassern meines Lebens: Es flüstert, meist rauscht es und stürmt», München: Edition Text + Kritik 2024; die Zitate dort auf S. 14 und 138.)

(Heidy Zimmermann, Mitteilungen der Paul Sacher Stiftung, Nr. 38, 2025, S. 5–6)